Welche Erfahrungen in der Corona-Krise haben Sie positiv überrascht?
Mich hat fasziniert, wie viel Kreativität die Krise freigesetzt hat und wie viele Hürden, die vorher grundsolide im Weg standen, ganz nebenbei genommen wurden, weil es nicht anders ging.
Home Office wurde von einem auf den anderen Tag in vielen Unternehmen möglich, und bei Twitter dürfen die Mitarbeiter*innen auch dauerhaft von zu Hause aus arbeiten, wenn sie das möchten.
Klar – Home Office ist nicht überall möglich und für jede Situation angebracht. Mir geht es bei dem Beispiel um Beweglichkeit (neudeutsch: Business Agility) und Gestaltungsfähigkeit, die sich da gezeigt hat, weil es eben sein musste.
Und die lässt mich hoffen und darauf gespannt sein, wie wir uns weiterentwickeln in der Arbeitswelt.
Gleichzeitig zeigt sich gerade im Großen, was auch viele Unternehmen im kleineren Rahmen erleben, nämlich, wie unterschiedlich Menschen mit Unsicherheit und Mehrdeutigkeit umgehen. Viele überfordert die Tatsache, dass Maßnahmen kurzfristig getroffen oder auch wieder revidiert werden.
Viele wünschen sich mehr Orientierung und klare Ansagen
So verständlich das ist, so wenig zielführend wäre ein starrer Plan in einer Situation, die auch für Experten weitgehend unüberschaubar bleibt, in der wir Schritt für Schritt lernen müssen, wie sich die Lage verändert.
Die Fähigkeit, Mehrdeutigkeit auszuhalten und mit Unsicherheit gut umzugehen, wurde schon vor Corona als wichtige Kompetenz für die neue Arbeitswelt beschrieben.
Und in den letzten Monaten wird sehr deutlich, was das konkret bedeuten kann.
In vielen Unternehmen erleben Mitarbeitende Ähnliches: Schritt für Schritt wird die Vorgehensweise angepasst statt von Anfang an schon einen vollständigen Plan abzuarbeiten.
Manchmal ist das Planungsschwäche: da, wo Planung möglich wäre, weil das Terrain, in dem man sich bewegt, bekannt ist.
In vielen Fällen ist es aber die einzig vernünftige Vorgehensweise. Dann nämlich, wenn das Gelände unübersichtlich oder unbekannt ist oder wenn die Zusammenhänge komplex sind.
Gehen Sie davon aus, dass jede Situation planbar ist und wir uns nur richtig anstrengen müssen, um die Dinge unter Kontrolle zu bringen? Oder gehen Sie davon aus, dass sich Dinge Schritt für Schritt entwickeln und die Entwicklung nicht langfristig vorhersagbar ist?
Wir alle haben Denkgewohnheiten und betrachten die Welt durch unterschiedliche Brillen, die wir uns unter anderem auch durch unseren (Arbeits-)alltag angewöhnen.
Wenn wir in unserem Alltag überwiegend mit komplexen Situationen konfrontiert sind, betrachten wir die Welt gewohnheitsmäßig als komplex.
Wenn wir in unserem Alltag eher mit planbaren Situationen zu tun haben, gehen wir eher davon aus, dass man nur genau genug hinsehen/analysieren muss, um die Dinge planen zu können.
Je nach Sachlage hat mal der eine, mal die andere Recht.
Planung gibt uns Sicherheit und Orientierung. Was aber, wenn – wie oben geschildert – Planung außer einer Pseudo-Sicherheit keinen Nutzen hat, weil sie wegen der Unvorhersagbarkeit der Situation keinen Bestand haben kann?
Auch wenn man einsieht, dass langfristige Pläne aktuell nicht sinnvoll möglich sind, haben wir Menschen doch ein Bedürfnis nach Orientierung.
Das cynefin Framework von Dave Snowden lässt sich da als eine „Landkarte“ nutzen, um zu überlegen, in welchem Umfeld man sich gerade bewegt und welche Vorgehensweise deshalb angebracht ist.
In unserem Interview mit der Fachzeitschrift „Projektmanagement aktuell“ gehen wir auf die Bedeutung des Mindsets für die Nachhaltigkeit bei der Einführung von z.B. agilen Methoden ein.
Die Methode allein kann, ohne die entsprechende Haltung, nicht lange Bestand haben, auch nicht in Zeiten, die weniger „zwingend“ sind als wir das gerade erleben.
In einem nächsten Artikel werden wir das Dynamische Mindset nach Carol Dweck vorstellen, das helfen kann, mit Unsicherheit gelassener und lernfreudiger umzugehen.
Sabine Hennig
Trainerin, Beraterin, Coach, Moderatorin
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