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Tag der Achtsamkeit – Schweigen

Die Schönheit der Stille

Es ist Sonntagmorgen, 11:00 Uhr. Unsere MBSR-Gruppe trifft sich zum Tag der Achtsamkeit. Nach der Hälfte des Online-Kurses verbringen wir einen Tag schweigend. Ich bin zugegebenermaßen etwas aufgeregt und gespannt, wie der Tag wird. So geht es den meisten Kursteilnehmenden.

„Die innere Haltung des Schweigens erstreckt sich über den verbalen Austausch auch auf den Umgang mit Medien, wie Fernsehen, Smartphone, Zeitung und Bücher etc.“

erläutert unser Kursleiter Dr. Sven Lohrey. Wow! That’s a lot! Das umfasst ja so gut wie alles.

Ich merke, wie ich innerlich mit mir verhandle. Vielleicht könnte ich in der achtsamen Mittagspause, den interessanten Fachartikel, der noch auf meinem Schreibtisch liegt, achtsam lesen oder meinen Mann zur achtsamen Gehmeditation mitnehmen …

Gerade in der Corona-Krise wird von uns Führungskräften noch mehr Kommunikation als im „normalen“ Führungsalltag gefordert. Wir sprechen mit Mitarbeitenden, Kunden, Lieferanten. Wichtig ist, gegenüber den Mitarbeitenden transparent zu machen, wo das Unternehmen steht, wie die aktuelle Auftragslage ist, wie wir die Zukunft einschätzen, usw..

Heute werde ich also nicht kommunizieren, sondern schweigen. Beim Frühstück kam mir noch eine vielversprechende Idee und eigentlich sollte ich eine E-Mail an die entsprechenden Kooperationspartner schicken, aber daraus wird zumindest heute nichts mehr. Ich merke, wie sich Unmut in mir breit macht und ich merke, wie mir das „Loslassen“ schwerfällt. Ich habe Sorge, dass ich die Idee vielleicht vergesse oder sie am Montagmorgen in der Hektik der beginnenden Woche verloren geht. Ich ärgere mich darüber, dass ich diese Initiative nicht weiter durchdenken kann.

In meine Gedanken schiebt sich Sven und stellt uns die Agenda des Tages vor. Einiges werden wir im virtuellen Raum zusammen machen, einiges alleine zu Hause. Ich habe den Ablauf zusätzlich ausgedruckt vor mir liegen und lese parallel mit:

„Selbstfürsorge ist ein zentraler Bestandteil von Achtsamkeitspraxis. Gleichzeitig kann es sein, dass Du Ausreden findest, warum Du gerade nicht praktizieren solltest oder kannst. Erinnere Dich in diesen Momenten daran, warum Du an diesem Kurs teilnimmst.“

Ich fühle mich ertappt. Ja, ich wollte unbedingt teilnehmen und daher gibt es nur eine Entscheidung: Ich lasse mich zu 100 % ein UND schweige. 

Nach der gemeinsamen Sitzmeditation gehen wir offline in die individuelle Achtsamkeitspraxis. Wir haben feste Zeiten, können die Reihenfolge der Meditationen aber frei wählen. Ich beginne mit der achtsamen Yogameditation, die ich auch in den Praxisphasen regelmäßig durchführe. Wenn ich gedanklich abschweife, was häufig passiert, kann ich mich mittlerweile gut zurückholen und im Moment ankommen. Die Sonne scheint auf meine Yogamatte. Ich spüre meinen Körper in den unterschiedlichen Bewegungen und merke zunehmend, wie gut mir die sanften Bewegungen tun. Sven ermuntert uns, die kleinsten Regungen wahr- und ernst zu nehmen. Das tue ich. In mir wird es still und das intensiviert sich beim Bodyscan. Die Ruhe im Außen überträgt sich offensichtlich ins Innen.

In der Mittagspause genieße ich einen Leberwickel, der zwar nicht auf dem Programm steht, aber ein deutlicher Impuls meines Körpers ist und mir sehr guttut.

Am Nachmittag nehmen wir uns Zeit für achtsames Gehen. Mittlerweile schweige ich 5 Stunden. Ich beobachte etwas irritiert, wie ich es genieße und wie fokussiert ich bin. 

In der Abschlussrunde, beim sogenannten Brechen des Schweigens habe ich mein Aha-Erlebnis für heute. Sven stellt uns die Frage, was uns heute gestärkt und genährt hat. Mein Körper, schießt es mir durch den Kopf. Er funktioniert, wie ich das immer beschreibe und zwar sehr gut! Aber heute war etwas anders. Heute habe ich ihn als echte Ressource erlebt. Die bewusste Fokussierung auf meinen Körper, die Entspannung durch achtsames Atmen und das konsequente Befolgen der Impulse meines Körpers haben zu einem absoluten Wohlgefühl und hoher Konzentrationsfähigkeit geführt.

Dafür ist in meinem Führungsalltag keine Zeit oder ich nehme sie mir nicht. Die Bedürfnisse meines Körpers kann ich meistens gar nicht genau benennen, da sie von den äußeren Geräuschen und Aktivitäten übertönt werden. Den großen Qualitätsunterschied nehme ich heute deutlich wahr und frage mich, wie ich das in meinem hektischen Arbeitsalltag kultivieren kann. Ich weiß noch nicht genau wie, aber ich spüre auf jeden Fall, dass es das wert wäre.

Wir besprechen auch, dass die eingesparte Energie für Kommunikation anders verwendet werden kann. Ich werde es ausprobieren, an welcher Stelle Schweigen zu mehr Qualität in Diskussionen und (virtuellen) Begegnungen führen kann. 

Meine Ideen von heute Morgen sind übrigens nicht verloren gegangen – die gehe ich morgen voller Elan und fokussiert an!

Sabine Merdes

Teilnehmerin MBSR-Kurs
Trainerin, Beraterin, Coach, Moderatorin
Geschäftsführende Gesellschafterin


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